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Neue EU-Regeln Die Finanzberatung wird grün – das müssen Sie wissen

Ab diesem Dienstag gelten neue EU-Regeln im Finanzvertrieb: Bankberater müssen mit ihren Kunden künftig auch über Nachhaltigkeit bei der Geldanlage sprechen. Erfüllt das den erhofften Zweck? Was müssen Anleger beachten? Hier die wichtigsten Antworten.
Mann im Wald: Investoren sollen künftig Auskunft darüber geben, wie sie es mit der Nachhaltigkeit halten

Mann im Wald: Investoren sollen künftig Auskunft darüber geben, wie sie es mit der Nachhaltigkeit halten

Foto: Becker&Bredel / IMAGO

Was ist neu?

Bankberater und Vermögensverwalter müssen ihre Kunden ab diesem Dienstag obligatorisch auch zum Thema Nachhaltigkeit in der Geldanlage befragen. Die neue Regel ist Teil der Bestrebungen der Europäischen Union (EU), mehr Gelder in nachhaltige Investments zu lenken. So will die EU ihren Teil zum Kampf gegen den Klimawandel beitragen.

Verschiedene Vorstöße hat die EU bereits zu diesem Zweck unternommen. So trat bereits im März 2021 die Offenlegungsverordnung in Kraft, die Anbieter von Finanzprodukten wie etwa Investmentfonds dazu verpflichtet, transparent zu machen, inwieweit ihre Offerten nachhaltige Ziele verfolgen. Ebenso hat die EU ihre Taxonomie entwickelt, die dazu dient, wirtschaftliche Aktivitäten in "nachhaltig" und "nicht nachhaltig" zu unterteilen.

Hinzu kommt nun die Einführung des Themas Nachhaltigkeit in die Finanzberatung. Die Regelung ist Teil einer ganzen Reihe neuer EU-Vorgaben, die unter dem Kürzel "Mifid II" schrittweise in Kraft treten.

Sprich, es geht bei der Anlageberatung künftig nicht mehr nur um Renditechancen und Risiko, sondern auch um Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung: Die Abkürzung ESG (englisch für: Environmental, Social, Governance) hält Einzug in die Beratung.

Was bedeutet das konkret?

Was verstehen Sie unter nachhaltig? Soll Nachhaltigkeit bei Ihrer Geldanlage berücksichtigt werden? Wie "grün" soll Ihr Finanzprodukt sein? Mit solchen und ähnlichen Fragen werden Sparer und Geldanleger beim Beratungsgespräch in ihrer Bank künftig konfrontiert werden. Es liegt auf der Hand, dass sich kaum etwas davon in wenigen Worten beantworten lässt. Kritiker monieren schon vor Beginn der grünen Beratungsära, dass die Einführung übereilt geschehe und nicht ausreichend durchdacht sei. Im Ergebnis drohen sowohl Berater als auch Kunden überfordert zu werden. Die neuen Vorschriften beinhalteten "die komplette Regulierung der letzten drei Jahre", sagt etwa der Kasseler Finanzprofessor Christian Klein. Das sei für ein Beratungsgespräch von oftmals einer halben Stunde "sehr spannend".

"Die Umsetzung der Mifid-II-Vorgaben ist für Berater ein Wahnsinn"

Finanzprofessor Christian Klein, Kassel

"Die Umsetzung der Mifid-II-Vorgaben ist für Berater ein Wahnsinn", sagt Klein. "Das eine Problem ist: Wie kann in kurzer Zeit einem Kunden erklärt werden, was zum Beispiel Taxonomie und Offenlegungsverordnung sind? Das Hauptproblem ist dann das sogenannte Mapping: Wie findet ein Berater die passenden Produkte, die der Kunde dann auch kauft?"

In Zahlen ausgedrückt könnte sich die neue Regelung künftig so auswirken: Angenommen, ein Kunde will von 10.000 Euro 60 Prozent in ökologisch nachhaltige Anlagen im Sinne der EU-Taxonomieverordnung stecken. In diesem Fall könnte ein Anlageberater für 6000 Euro ein nachhaltiges Finanzprodukt empfehlen und für die restlichen 4000 Euro ein Produkt, das überhaupt nichts mit ESG zu tun hat.

Gibt es Ausnahmen von der neuen EU-Beratungsregel?

Ja. Tausende freie Finanzberater in Deutschland, die beispielsweise nicht fest bei einer Bank oder Versicherung angestellt sind, bleiben bei der Regelung kurioserweise vorerst außen vor - sie können weiterhin beraten wie gewohnt, ohne Blick auf Nachhaltigkeit. Dabei handelt es sich laut "Handelsblatt" immerhin um rund 39.000 freie Vertriebskräfte, die mit einer Erlaubnis nach Paragraf 34f der Gewerbeordnung tätig sind und nicht von der Bafin sondern von den Handelskammern beaufsichtigt werden. Grund für diese Lücke ist ein Versäumnis der EU-Politik, die diese freien Vertriebler offenbar nicht auf dem Zettel hatte.

"Wir halten das für absolut unglücklich und verwirrend, müssen jetzt aber erst einmal damit leben", sagte Norman Wirth, Vorstandschef der freien Berater, des AfW – Bundesverbands Finanzdienstleistung, der Zeitung. "Wir drängen, dass dieser Zustand schnellstmöglich abgestellt wird." Auch das Wirtschaftsministerium wolle sich "für eine Erweiterung der Beratungspflichten auf Finanzanlagenvermittler einsetzen", heißt es. Wirth rechnet damit aber nicht mehr in diesem Jahr.

Gibt es klare Regeln dafür, was "grüne" Investments sind und was nicht?

Kurze Antwort: nein. Zwar liegt mit der Taxonomie der EU-Kommission in Brüssel eine Art Katalog für klimafreundliche Investitionen vor. Dieser Katalog zeigt jedoch, wie schwierig es ist, bei dem Thema auf einen Nenner zu kommen. Schließlich ist Nachhaltigkeit sehr komplex, und viele verschiedene Aspekte spielen dort hinein. Das zeigt schon das Kürzel ESG, welches für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung steht. Jeder dieser Bereiche lässt sich in weitere Unterbereiche herunterbrechen. Und jeder Anleger dürfte eigene Vorstellungen davon haben, was ihm wichtig ist und was ihm weniger wichtig ist.

"Finanzbranche setzt viel Ressourcen dafür ein, genau darauf zu achten, dass das, was wir als grün bezeichnen, auch wirklich grün ist": Christian Sewing, Bankenpräsident, Chef der Deutschen Bank und Experte für Greenwashing

"Finanzbranche setzt viel Ressourcen dafür ein, genau darauf zu achten, dass das, was wir als grün bezeichnen, auch wirklich grün ist": Christian Sewing, Bankenpräsident, Chef der Deutschen Bank und Experte für Greenwashing

Foto: Arne Dedert / dpa

Auf der anderen Seite lässt sich vor allem bei Großkonzernen schwer pauschal bestimmen, wie nachhaltig sie einzustufen sind, weil sie zahlreiche verschiedene Aktivitäten haben, in denen wiederum jeweils unterschiedliche Aspekte der Nachhaltigkeit eine Rolle spielen. Nicht zu vergessen, das geschäftliche Umfeld der Unternehmen, also etwa Lieferanten, regionale politische Aspekte oder Produkte.

Für Kritik an der EU-Taxonomie sorgt etwa, dass es in diesem Rahmen von Januar 2023 an auch als klimafreundlich gilt, Geld in bestimmte Gas- und Atomkraftwerke zu stecken. Das finden nicht nur viele Umweltschützer falsch.

Zwar gibt es auf Nachhaltigkeit spezialisierte Raringagenturen, die Unternehmen beurteilen und Anlegern eine Entscheidungshilfe an die Hand geben. Die Analysten kommen jedoch oft zu völlig unterschiedlichen Einschätzungen über ein und dasselbe Unternehmen - auch das ist wenig hilfreich für Investoren.

Kurzum: Anleger müssen sich auch künftig selbst gut darüber informieren, was sich hinter Finanzprodukten verbirgt, die als "nachhaltig" vermarktet werden. Nach Einschätzung von Bankenpräsident Christian Sewing nimmt die Finanzbranche die Herausforderungen zwar sehr ernst. "Die Finanzbranche setzt inzwischen viel Ressourcen dafür ein, genau darauf zu achten, dass das, was wir als grün bezeichnen, auch wirklich grün ist", sagte der Deutsche-Bank-Chef in seiner Funktion als Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB) kürzlich im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. "Allen Marktteilnehmern ist bewusst, wie gefährlich Vorwürfe von Greenwashing sind."

Sewing weiß allerdings nur allzu gut, wovon der spricht: Als Chef der Deutschen Bank leitet er den Mutterkonzern der Fondsgesellschaft DWS, die im Mittelpunkt des bislang wohl größten Greenwashing-Skandals hierzulande steht.

Der Fondsverband BVI erklärte auf Nachfrage: "Dass es trotz unzähliger technischer Details und Vorschriften noch kein einheitliches Verständnis gibt, was nachhaltig ist, ist tatsächlich ein Problem." Mehr Klarheit können nach Ansicht des BVI nur europäische beziehungsweise internationale Mindeststandards schaffen: "Das gilt für ESG-Daten, die Unternehmensberichterstattung und Anforderungen an nachhaltige Produkte gleichermaßen. Deshalb setzen wir uns für solche internationalen Mindeststandards ein."

Worauf sollten Anleger bei der Finanzberatung künftig achten?

Nachhaltigkeit ist zwar ein neuer Aspekt in der Anlageberatung, aber er ist nicht der einzige. Investoren sollten daher darauf achten, dass sich das Gespräch bei aller Komplexität und Neuheit des "grünen" Themas nicht ausschließlich darum dreht. Risikostreuung etwa ist weiterhin ein wichtiges Kriterium, das keinesfalls vernachlässigt werden sollte. Das gleiche gilt für die Kosten der Geldanlage, die niedrig gehalten werden sollten.

"Achten Sie auf die Kosten", sagte auch die Finanzprofessorin Christine Laudenbach jüngst im Interview mit der "FAZ" . "Ein Experiment in den Niederlanden hat gezeigt: Wenn Kunden nachhaltig investieren wollten, haben die Bankberater auch entsprechende Fonds ausgesucht – aber die Kunden haben am Ende höhere Gebühren gezahlt. Das gilt natürlich nicht für alle Beraterinnen und Berater. Nach wie vor ist es vor allem wichtig, sich mit seinen Finanzen auseinanderzusetzen, mit oder ohne Hilfe von außen."

Was ist der Hintergrund der neuen Vorgaben?

Die Politik will mehr Geld dorthin lenken, wo es dem Klima und der Umwelt nutzt, statt diesen zu schaden, wie etwa: Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung von Wasserressourcen, Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung von Verschmutzung sowie Schutz von Ökosystemen und Biodiversität. Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein, Deutschland will das schon bis 2045 schaffen. Das heißt: Klimaschädliche Gase wie Kohlendioxid (CO2) sollen von da an vermieden oder gespeichert werden. Der Umbau der Wirtschaft von "braun" zu "grün" wird nach Einschätzung von Experten nur gelingen, wenn neben öffentlichen Milliarden auch Privatleute ihn mit ihren Investitionen mittragen.

Wie gefragt sind nachhaltige Geldanlagen bislang?

Die Zahlen zeigen eine klar steigende Tendenz. So wuchs das Volumen der weltweit verfügbaren Investmentfonds mit Nachhaltigkeitslabel laut Ratingagentur Morningstar im Frühjahr dieses Jahres auf 2,9 Billionen Dollar, wie manager magazin bereits unlängst in einem ausführlichen Bericht über nachhaltige Investments am Beispiel des niederländischen Pensionsfonds APG mit seiner deutschen Sustainable-Finance-Expertin Claudia Kruse schrieb . Die Global Sustainable Investment Alliance (GSIA), die den Fokus auf deutlich größere Anlegerkreise erweitert, will zuletzt sogar ein weltweites Volumen von 35,3 Billionen Dollar an nachhaltigen Investments ermittelt haben. Das entspreche einem Wachstum von 15 Prozent in zwei Jahren.

Für Deutschland beziffert das Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) die Gesamtsumme nachhaltiger Geldanlagen zum 31. Dezember 2021 auf 501,4 Milliarden Euro. Das waren fast 50 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Der Anteil nachhaltiger Fonds am gesamten deutschen Markt stieg demnach binnen Jahresfrist deutlich von 6,4 Prozent auf 16,7 Prozent.

Klar ist aber auch, dass bislang vor allem institutionelle Investoren auf die grüne Geldanlage wert legen. Privatanleger dagegen halten das Thema Umfragen zufolge zwar für wichtig, legen bei der konkreten Geldanlage bislang aber oft mehr Wert auf andere Qualitäten wie etwa Rendite oder Sicherheit. Das könnte sich durch die neuen Beratungsregeln ändern. Kritiker sehen indes die Gefahr, das Finanzhäuser künftig versuchen könnten, unter dem ESG-Siegel vor allem kostspielige, aktiv gemanagte Produkte an den Mann und die Frau zu bringen.

Werden die neuen Regeln für einen weiteren Schub sorgen?

"In Umfragen sagen die meisten Deutschen seit Jahren, dass sie das Thema Nachhaltigkeit in der Geldanlage total spannend finden. Aber sie setzen es nicht um", sagt auch der Kasseler Professor Klein. "Ich bin überzeugt: Wenn das jetzt den Kunden aktiv angeboten wird, werden wir eine riesige Nachfrage bekommen. Das holpert vielleicht am Anfang, weil die Materie komplex ist. Aber ich denke, dass viele Anleger am Ende nicht den 0815-Fonds kaufen werden, sondern irgendetwas Grünes."

Der Fondsverband BVI ist allerdings skeptisch, dass der Bedarf auch ab sofort in jeder Hinsicht gedeckt werden kann: "In der ersten Zeit wird es voraussichtlich nicht genügend Produkte geben, um alle denkbaren Präferenzen der Kunden zu bedienen."

cr/dpa-afx